Hagens Rennbericht: Race Across The Alps

Race across the Alps 532 KM 13.700 HmAm 25.06. 12:00 Uhr in Nauders ist mir nochmal so richtig bewusst geworden, was aus einer spontanen Idee bei einem Bier werden kann. Voller Ehrfurcht habe ich die Fahrervorstellung verfolgt und bei den Meriten der anderen Teilnehmer kam ich mir ganz schön klein vor.
Vom Vorjahressieger, Race around Austria Topp Platzierten bis zum Doppeleveresting Weltrekordhalter war alles vertreten. Nur eben keiner der sagte: Ich mach sowas das erste Mal, ich hoffe einfach gut durchzukommen.Der Respekt vor der Strecke, der nicht so tolle Wetterbericht, irgendwie war mir ganz schön flau im Magen. Als es dann noch hieß, dass alle startbereit sind, nur der Tracker von Nummer 41 nicht funktioniert (genau- das war ich), wurde das Gefühl nicht besser.Ein paar Minuten später war aber alles geklärt, der Startschuss ertönte und 41 von 45 Gemeldeten nahmen die Strecke in Angriff.
Zuerst ging es 35 Kilometer moderat über kleine Wellen bis nach Prad. Das Feld haben wir ziehen lassen, wir wollten unbedingt unser Tempo halten (danke Jens, fürs Einbremsen) und fuhren dann in einer kleinen Gruppe mit einer der 3 teilnehmenden Frauen. In Prad zeigte mein Garmin dann 37,7 Grad und es war fast schon eine Wohltat endlich an Höhe zu gewinnen um sich etwas abzukühlen.
Stilfser Joch (24,6 KM 1844 HM)Allmählich hatte sich die Aufregung gelegt und wir sind mit den geplanten 200-220 Watt in den Stelvio gefahren. Leider ging es Jens schon da nicht wirklich gut, beruflicher Stress am Tag zuvor war dieser extremen Herausforderung sicher nicht dienlich. In Gomagoi erwarteten uns unsere Begleiter mit frischen Flaschen und guten Worten. Bei mir fuhr meine liebe Anne das Begleitfahrzeug, bei Jens waren Elke, André und Taras mit dabei.
Ab der Franzenshöhe hat sich der Berg in Wolken gehüllt und hinter uns donnerte es bereits. Recht zügig haben wir dann die Passhöhe auf 2757 erreicht und wurden von Steffen und Sandra empfangen.
Gavia Pass (18 KM 1360 HM)Nach der langen Abfahrt mit ein paar Regentropfen ging es von Bormio nach Santa Catarina und von dort zum Gavia Pass, für mich einer der schönsten Pässe in den Alpen. Etwa 5 Kilometer vor der Passhöhe begann es zu regnen und ich hatte für die Abfahrt ziemliche Befürchtungen, da diese in keinem guten Zustand sein sollte (der später Zweitplatzierte hatte dafür extra ein Mountainbike mit). Oben war es dann nass, kalt und doch auch unglaublich schön und beeindruckend, im See waren noch Eisschollen, überall Schneereste und kein Mensch weit und breit.
Natürlich habe ich mich gleich in der zweiten Kehre bergab ordentlich verbremst und es dauerte ein wenig, bis das Herz wieder aus der Hose wollte. Dann kam ein langer, komplett unbeleuchteter Tunnel und wir hatten das Licht vergessen zu montieren. Kann man machen- muss man ganz sicher nicht. Zum Glück ist alles gut gegangen. Das Begleitfahrzeug eines anderen Teilnehmers hat uns gesehen und extra am Ausgang gewartet, um zu schauen ob wir heil wieder rauskommen. Nach etwa 10 KM wurde die Straße breiter und es ging lange und schnell bergab Richtung Edolo.
Aprica (15,5 KM 476 HM)Der Erholungspass. Nach den teils steilen Passagen vorher war es tatsächlich für mich so, dass ich die Auffahrt relativ entspannt fahren konnte. Dank der perfekten Begleitung hat auch die Versorgung sehr gut gepasst, ich habe die komplette Zeit pro Stunde etwa 0,4 Liter trinken können und hatte dahingehend keine Probleme. In Aprica hat Anne dann eine Pause gemacht da wir ein paar Stunden später wieder dort vorbeigekommen sind. Es war etwas blauäugig mit einer Person im Begleitfahrzeug zu planen, das ist schlicht nicht möglich, 530 Km mit dem Auto durch die Alpen ist nicht viel weniger anstrengend als mit dem Rad.Inzwischen war es dunkel geworden und begann leicht zu regnen, aber es war relativ warm und die Straßen gut ausgebaut. Mit frischen Klamotten und dem Begleitfahrzeug von Jens hinter uns ging es Richtung eines der schwersten und gefürchtetsten Anstiege des Giro d Italia.
Mortirolo (12,2 KM 1360 HM)Etwa 10 Kilometer vor Beginn des Passes, also in dem Moment in dem eine mentale Streicheleinheit schön gewesen wäre, setzte dann ein Starkregen ein der uns komplett durchnässte und mich ziemlich frustrierte. Kurz vor Beginn des Anstiegs haben wir wieder zu der Teilnehmerin aus Österreich aufgeschlossen und sind die ersten Kehren zusammen gefahren. Es war ein unwirkliches Szenario, Rampen von bis zu 18%, die kein Ende nahmen nur beleuchtet vom direkt hinter uns fahrenden Begleitfahrzeug. Mit 34/32 bin ich recht gut hingekommen, wer mehr Wert auf eine hohe Kadenz legt, sollte ein größeres Ritzel in Betracht ziehen. Vorbei am Denkmal für Marco Pantani haben wir uns weiter mit 8 Km/h nach oben gequält, uns umgezogen und die (zum Glück inzwischen abgetrocknete) Abfahrt in Angriff genommen.
Aprica (15,5 KM 476 HM)Wieder in Aprica angekommen habe ich gemerkt, dass ich kaum noch süße Riegel essen kann, ich hatte schon zweimal das eben Gegessene wieder ausspucken müssen. Zum Glück hatte Jens’ Crew Nudelsalat dabei und ich ein paar Cracker. Die Ernährungsstrategie ist also ausbaufähig. Fast alle Sieganwärter haben komplett auf Flüssignahrung gesetzt.
Bernina Pass (37 KM 1880 HM)Nun stand der zweite Scharfrichter auf dem Programm, über 30 Kilometer Anstieg, unrhythmisch, hart, und der Kopf sagte nicht: du hast schon die Hälfte geschafft sondern: nochmal so viel. Jens hat sich weiter gequält und ich ziehe meinen Hut vor seiner Leistung, mit leichten Magenproblemen so eine Strecke zu fahren… Mir ging es bis zu Hälfte des Passes auch nicht wirklich gut, aber nach einer Pause und einer weiteren Portion Nudelsalat lief es deutlich besser und ich bin recht entspannt mit Wattasia im Ohr den Rest des Berges gefahren. Inzwischen wurde es wieder hell und das Panorama auf dem Gipfel hat mich überwältigt. Allerdings war es auch richtig kalt, in der Abfahrt zeigte der Garmin 4 Grad an. Im Tal, Richtung La Punt, überholten uns 4 Radfahrer. Als ich ihnen sagte was wir gerade machen, erklärten sie uns für bekloppt. Immerhin haben sie uns ein paar Kilometer Windschatten gegeben.
Albula Pass (9,1 KM 654 HM)Nach 3 steilen Kilometern im Albula war es dann schon wieder unglaublich warm, sodass unsere Winterjacken keine gute Wahl waren. Zum Glück hatten wir eine aufmerksame Begleitcrew, die genau dort wartete wo es unerträglich wurde.Auf der Passhöhe haben wir dann wieder Gerhild aus Österreich getroffen, ich hatte inzwischen erfahren, dass sie das Race Around Austria gewonnen hatte. Wir waren immer wieder von ihren effizienten Pausen, die exakt nach Excel Tabellen ausgeführt wurden, beeindruckt. Taras hat noch ein Drohnenvideo der Auffahrt gemacht (ich bin gespannt) und dann ging es schon in die lange Abfahrt Richtung Alvaneu.Die Strecke nach Davos war für Jens dann eine ziemlich Tortur, immer wieder Wellen, kleine steile Rampen und das alles in der prallen Sonne. Kurz vor Davos begann dann auch sein Knie zu schmerzen und er sagte, dass er nicht mehr daran glaubt finishen zu können.
Fluela Pass (12,8 Km 820 HM)Nach einem Viertel des Passes haben wir eine längere Pause gemacht, um zu checken was noch möglich ist. Im Hinterkopf war auch die Karenzzeit ein Thema, die laut Homepage bei 32 Stunden lag und kaum einzuhalten war (später stellte sich heraus, dass dies nicht korrekt war und alle Teilnehmer die bis 0:00 Uhr das Ziel erreichen auch gewertet wurden).Wir haben entschieden, dass ich allein weiterfahre und Jens schaut was noch geht, er allerdings kaum Hoffnung hatte.Im oberen Teil des Passes habe ich dann Gerhild überholt, die auch über heftige Knieschmerzen klagte.Für mich war der Pass sehr angenehm zu fahren, es waren sehr viele Rennradfahrer unterwegs und die Zeit verging wie im Fluge.
Ofenpass (22 KM 800 HM)Unglaublich dankbar dafür, dass ich bisher ohne größere Probleme durchgekommen bin, nahm ich den Ofenpass in Angriff. Und bekam direkt eine mentale Krise, 22 Km mit 800 Hm klang wie entspannt fahren, einen passenden Gang finden und dann locker bis nach oben. Leider war dem nicht so, immer wieder ging es zwischendurch bergab um dann mit 11 Prozent über Kilometer in der prallen Sonne anzusteigen. Als ich endlich oben war und Anne mit frischen Getränken wartete war ich erstmal ziemlich fertig und machte eine längere Pause. Die 32 Stunden waren nun nicht mehr machbar, was meine Laune nicht besserte. Ich wusste ja noch nicht, dass ich ganz entspannt hätte fahren können.
Umbrail Pass (13 KM 1121 HM)Nach einer langen, schnellen Abfahrt stand das letzte große Hindernis vor mir. Der Umbrail Pass ist für mich trotz seiner Steilheit sehr gut zu fahren, selbst 1,5 KM abgefräster Straße waren auszuhalten. Und als dann 3 KM vor dem Gipfel Steffen auf mich wartetet war die Welt komplett in Ordnung und ich so richtig glücklich. Zusammen sind wir weiter gefahren, und haben oben Anne Bescheid gegeben, dass sie ins Ziel fahren möge um die Karenzzeitfrage zu klären.
Stilfser Joch (3 KM 260 HM)Ja, auch 3 Kilometer können so richtig wehtun, aber da zu diesem Zeitpunkt recht sicher war, dass ich das Ziel erreichen werde, ging auch das irgendwie vorbei. Und wann hat mal schon mal das Stilfser Joch ganz für sich allein?In der Abfahrt hat mir Steffen dann die Ideallinie aufgemalt und ich bin hinterher gerollt, als mittelmäßiger Abfahrer war das eine Wohltat für mich. Er sprach auch von Rückenwind am Reschenpass und ich wähnte mich quasi schon im Ziel.
Reschenpass (23,4 KM 599 HM)Leider entpuppte sich der Rückenwind als heftiger Gegenwind (ich weiß bis heute nicht ob er mir nur Mut machen wollte) und so wurden die letzten 600 HM noch zur Quälerei, ich konnte kaum das Tempo halten und musste auf den letzten flachen Kilometer ordentlich gegen den Wind kämpfen. Etwa 3 Kilometer vor dem Ziel begann es nochmal heftig zu regnen und in der tatsächlich letzten Kurve hätte ich mich fast noch hingelegt, aber alles ist gut gegangen und im Ziel wartete Anne mit Sandra und dem Organisator, Kurt Folie, der mir den Pokal überreichte. Was soll ich sagen? Geil, Großartig, Einmalig, ich war überwältigt.
Im Ziel Als Anne mir sagte, dass sowohl Jens als auch Gerhild weiter im Rennen sind, war ich einfach nur glücklich. Keine Ahnung wie die beiden das gemacht haben, aber sie sind vor 0:00 Uhr ins Ziel gekommen. Am nächsten Vormittag haben wir bei bestem Wetter noch eine kleine Siegerehrung gemacht, Kurt Folie hat die Pokale an Gerhild und Jens übergeben, alle Begleiter waren da und wir hatten eine sehr schöne Zeit.Der Sieg ging mit einem unglaublichen Schnitt von knapp 26 Km/h an Dominik Schranz aus Tirol, Zweiter wurde der Vorjahressieger Thomas Hoffmeister vom Petzracing Team aus Dresden und die Frauenwertung gewann Annett Jalowi ebenfalls von Petzracing mit neuem Streckenrekord vor Gerhild Maier.Am Ende stand Platz 24 zu Buche.Ich bin absolut fasziniert von der Atmosphäre im Ultracycling, alles passiert mit Hochachtung vor den anderen Teilnehmern, die Länge der Strecke sorgt für eine gewisse Entspanntheit während des Rennens. Es war eine Wohltat, Menschen kennenzulernen die völlig bekloppt und zugleich unglaublich liebenswert sind.Zum Schluss noch eine tiefe Verbeugung vor Jens, ich hätte das so bestimmt nicht durchziehen können und ein riesiges Dankeschön an Anne (ich wusste echt vorher nicht dass es so heftig wird) und an das Team von Jens. Ihr wart einfach nur großartig.



